Bernhard Mattes

(71 Jahre Diabetes)
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Einige Ausschnitte aus meinem Leben mit Diabetes 16.09.2024

Ich heiße Bernhard Mattes und kam am 22.04.1942 in Stuttgart zur Welt, mitten im
2. Weltkrieg. Aufgewachsen bin ich im Städtchen Großsachsenheim, ca. 30 km nördlich von Stuttgart. In meiner Jugend hatte ich ziemlich oft Bronchitis, war aber sonst gesund.

Dann kam das Jahr 1953. In ihm sind einige für mich entscheidende Ereignisse passiert:
– Ich bekam Diabetes!
– Ich bestand die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium in Bietigheim, damals Oberschule genannt.
– Das Großsachsenheimer Schloß-Freibad wurde gebaut.

Der Freibadbau war für uns etwas Besonderes, weil man als Jugendlicher durch 48 Stunden körperlicher Arbeit bis 1959 freien Eintritt in das „Schloß-Freibad“ bekam. Die 48 Stunden Arbeit „bekam ich damals gerade noch hin“, aber das Ganze hatte mich schon sehr mitgenommen, vor allem hatte ich Dauerdurst.
Mein Nachttopf mit ca. 3,5 l Inhalt war in einer Nacht oft voll und ich wurde allmählich körperlich dünner und schwächer. Da mein Hausarzt gerade in Urlaub war, wurde ich von seiner Vertretung, einer ganz jungen Ärztin, behandelt. Sie meinte, ich hätte Hirnhautentzündung oder Kinderlähmung. Mein Diabetes wurde nicht erkannt!

Ich hatte dann „nur noch Durst“, trank aus Unwissenheit auch 0,7 l süßen Sprudel flaschenweise, was ja absolut kontraindiziert war. Aber niemand kam auf die Idee, dass ich „Zucker“ hatte. Schließlich wurde ich bewusstlos in eine Klinik nach Rommelshausen bei Stuttgart eingeliefert. Da ich bloß noch „Haut und Knochen“ war, konnte nur mittels einer Rückenmarkspunktion ein „Blutzuckertest“ gemacht werden und siehe da, der Zuckerwert im Rückenmark betrug 1250 mg/dl. Nun war klar, was ich hatte, nämlich „Juvenilen Diabetes“, wie man damals sagte, also Typ-1-Diabetes. Nun konnte ich krankheitsgerecht behandelt werden, ein Wunder war geschehen!

In der Kinderklinik Stuttgart, Birkenwaldstr. 10, wurde ich dann auf 12 E Depot Hoechst, einmal morgens, und „freie Kost“ eingestellt. „Freie Kost“ für Jugendliche Diabetiker war 1953 normal. Bald ging es mir wieder sehr gut! Meine Betazellen produzierten noch etwas körpereigenes Insulin, deshalb reichten mir nur 12 E Depot Hoechst. Die freie Kost habe ich im Übrigen bis zum heutigen Tag beibehalten. Dank meines „einigermaßen“ disziplinierten Diätverhaltens war mein HbA1c am 17.07.2024 bei meinem Diabetologen 6,1 %.

Alle 4 Wochen musste ich in die Kinderklinik nach Stuttgart zur Blutzuckermessung. Dazu wurde damals das relativ umständliche Hagedorn-Jensen-Verfahren angewandt, bei dem die Blutproben übrigens meist entnommen am Ohrläppchen– u.a. aufgekocht, zentrifugiert und austitriert werden mussten. Nach ca. 2 Stunden hatte man den genauen Wert dann. An Teststreifen für verschiedenste medizinische Untersuchungen konnte man seinerzeit noch nicht einmal denken!

Ab Mitte 1953 marschierte ich alle 14 Tage nüchtern zu meinem Hausarzt zur Blutzuckerbestimmung. Anschließend musste ich mit dem Zug nach Bietigheim in die Schule fahren. Also hat mir jedes Mal meine Mutter das Frühstück zum Bahnhof gebracht, das ich dann, nachdem ich mich gespritzt hatte, aß, bevor der Zug losfuhr. Hatte ich Azeton im Urin, bekam ich nur noch mit Wasser gekochten Haferschleim zu essen.

In den Folgejahren kam die „Zeit der Ferienlager“, veranstaltet vom DDB. Mein erstes Ferienlager fand statt in der Bauernschule Schwerzen bei Waldshut, das zweite bei den katholischen Schwestern im Kloster Wessobrunn in Bayern, das dritte auf der Halbinsel Mettnau bei Radolfzell am Bodensee. Dort besuchte uns auch der damals bekannte Diabetologe Herr Prof. Dr. Krainich, der später in Ostasien ermordet wurde.

1962 machte ich Abitur und studierte dann Nachrichtentechnik an der TH Stuttgart, die später in Uni Stuttgart umbenannt wurde. Am 01.03.1968 begann meine Berufstätigkeit bei der Fa. Bosch, bei der ich bis zum Ausscheiden aus dem Berufsleben am 31.12.2004 blieb.
1969 wurde geheiratet. Wir bekamen 3 Kinder und haben inzwischen 5 Enkel, alle sind gesund und haben keinen Diabetes.

Erst etwa 1970 kam mit dem Reflomat ein zuhause verwendbares Blutzuckermessgerät heraus. Es war ein ca. 1,1 kg schwerer, orangefarbener Kasten, der ans 220 V-Netz angeschlossen werden musste und bei dem durch Verdrehen einer Stellscheibe bis der Zeiger in der Skalenmitte war, der analog dargestellte Zuckerwert abgelesen werden konnte.

Meine erste Pumpe erhielt ich 1986 an der Uniklinik Ulm. Es war eine Betatron II von Lilly. Bei meinem dortigen Aufenthalt durfte ich auch einmal für 24 Stunden ans Küpa (= Künstliches Pankreas), das den Blutzucker kontinuierlich aufgezeichnet und das Insulin bedarfsgerecht und entsprechend der Kohlenhydratmenge abgegeben hat. Zum Abschluss meiner Küpa-Behandlung durfte ich damals auch problemlos ein halbes Pfund Süßkirschen essen!

2005 hatte ich öfters unerklärliche, niedrige Zuckerwerte. Mein Diabetologe vermutete eine ungenügende Kohlenhydratverdauung und veranlasste einen Test auf Glutenunverträglichkeit, und siehe, ich hatte Zöliakie! Dies ist eine m.E. viel heimtückischere Krankheit als Diabetes, da man nicht immer erkennen kann, ob das, was man zu sich nimmt, wirklich glutenfrei ist. Wer würde z.B. denken, dass in Kukident-Gebissreinigungstabletten Gluten enthalten ist und z.B. in Corega-Tabs, die dem gleichen Zweck dienen, nicht?

Ich musste also nun von glutenfreier Diabeteskost leben. Dies war eine deutliche Erschwerung in der Essensgestaltung, die oft unwissend nicht eingehalten wurde.

2014 bekam ich derartig starken Durchfall, magerte wieder einmal stark ab, auf 50 kg bei 1,75 m Körpergröße. Dieser Durchfall konnte nur mittels einer Steroidbehandlung im Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) in den Griff bekommen werden. Anschließend wurde bei mir eine Autoimmun-Enteropathie diagnostiziert. Es ging mir danach wieder „tausendmal“ besser!

2019 wurde ich – ebenfalls im RBK – wegen fortgeschrittener Blinddarmentzündung und wegen eines Konglomerattumors im Bauchraum operiert. 4 Wochen später brauchte ich nochmal eine OP wegen Dünndarmhernien. Diesmal kam ich dann ins Klinikum Ludwigsburg. Mein Darm ist jetzt ca. 75 cm kürzer. Aber das macht nichts, er ist immer noch lang genug.

Im September 2019 bestätigte mir Herr Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Detlef Schuppan von der Uniklinik Mainz, dass ich – so medizinisch unglaublich das auch klingt – keine akute Zöliakie mehr habe: „Die wesentlichen Zöliakie-spezifischen Antikörper seien unauffällig, ebenso der Autoimmun-Screen“! Es ist wirklich so, ich ernähre mich – Gott sei Dank! – schon länger wieder glutenhaltig, das Colestyramin brauche ich auch nicht mehr.

Z.Z. trage ich eine MiniMed 780 G-Pumpe, einen Guardian 4 rtCGM-Sensor und benutze ein ACCU-CHEK Guide Link-Blutzuckermessgerät, das mit der Pumpe drahtlos kommuniziert. Es handelt sich hier also um einen einfachen Closed Loop. Als Insulin verwende ich schon länger Humalog, habe aber vorletztes Jahr auch Fiasp ausprobiert. Mit ihm konnte ich keine Vorteile gegenüber Humalog feststellen, weshalb ich wieder zu diesem für mich bewährten Insulin-Analogon zurückgekehrt bin.

Dank fortschreitender Diabetestherapiemöglichkeiten, wie z.B. CGM-Sensoren und Insulinpumpen mit Smart-Guard-Technologie ist das heutige Leben für Diabetiker mit 71 Jahren Diabetes wie das eines Bedingt-Gesunden und ich bin sehr froh und dankbar für die bisherigen großen Fortschritte in der diabetischen Medizin- und Therapie-Technik!

Für kommende behandlungsbedürftige Diabetiker wünsche ich weitere neue und verbesserte Therapie-Methoden und -Fortschritte.

Teilnehmer-Geschichten

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