Ein Leben als bedingt gesunder Mensch (Gerhard Katsch)
Am 24. des Wonnemonats Mai im Jahre 1957 wurde ich, Kurt Thomas Kann, als dritter Sohn der Eheleute Sonja und Kurt Kann geboren. Im November 1959, also im zarten Alter von zweieinhalb Jahren, wurde bei mir die Stoffwechselerkrankung Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert. Die Behandlung sowohl im Kranken- als auch im Elternhaus erfolgte konsequent fachmedizinisch und kontinuierlich mit den damals zur Verfügung stehenden Mitteln und Kenntnissen. Als sehr positiv für mich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache zu bewerten, dass meine Eltern sich mit dieser Stoffwechselkrankheit schon etwas auskannten. Bei meinem Vater wurde der Typ-1-Diabetes bereits 1953 diagnostiziert und meine Mutter war Ärztin und promovierte später auf dem Fachgebiet der Diabetologie.
Meine frühe Kindheit betrachte ich für mich als die Zeit des Heldentums. Heldentum dahingehend, dass ich keine Angst vor der Spritze hatte (Papa spritzte sich ja auch) und ich mich schon im Alter von 4 Jahren (natürlich unter Anleitung und Kontrolle – zumeist gemeinsam mit meinem Vater) selbst spritzen konnte! Natürlich tat das auch manchmal weh, aber (laut meinem Vater): „ein Indianer zeigt keinen Schmerz“. Gewiss, die Qualität und Größe der damaligen Kanülen war nicht gerade sehr überzeugend, aber man konnte es überleben.
Bezüglich der Einhaltung des Diätplanes sowie der Spritz- und Esszeiten gab es keinerlei Kompromisse. Da achtete schon meine Mutter mit Argusaugen drauf – manchmal sehr zum Leidwesen meines Vaters (und mir). Meine Mutter sprach von „Eiserner Disziplin“ und medizinischer Notwendigkeit, mein Vater von „Eierner Diplizin“. Aber, im Vergleich zu der Disziplin im Elternhaus und den trotzdem vorhandenen Naschmöglichkeiten, war das medizinische Regime in den kinderdiabetologischen Einrichtungen von Garz und Puttbus (Insel Rügen) absolut kein „Zuckerschlecken“. Als beredtes Beispiel sei hier nur erwähnt, dass wir Kinder uns dort ALLES nur erdenklich Ess- oder Naschbares einverleibten. Die Krönung war das „auszutschen“ von Zahnpastatuben!
Hinsichtlich der schon angesprochenen strengen Einhaltung der Diät laut „Kostplan“ verlief auch die Essen-Versorgung. Sowohl in der Kinderkrippe als auch im Kindergarten sowie in der Schule hatte ich meine eigene abgemessene Verpflegung. In der Schulzeit war auch der 1/4 Liter Milch in dem Diätplan integriert. Erwähnenswert und der Wahrheit dienlich sei aber auch, dass ich immer und überall sehr geschmackvolle und profitable Verbindungen zu den jeweiligen Küchen, sprich Versorgungszentren, hatte.
Bezüglich kontinuierlicher Stoffwechsel-Kontrolle gab es in meiner Kindheit im Elternhaus glücklicherweise die Möglichkeit der täglichen Harnzuckermessung mit einem Harnzuckerperimeter. Davon wurde auch sehr häufig Gebrauch gemacht. Im Allgemeinen, zumindest bei mir, erfolgte eine Blut- und Harnzuckerkontrolle und Behandlung im Abstand von 3 Wochen in der Kinder-Diabetologie („Zentralstelle für Stoffwechselkrankheiten und Diabetes“ in der Klosterstraße in Berlin-Mitte).
Nach dem tödlichen Unfall meiner Eltern im März des Jahres 1968 wurde ich vom Leiter o.g. Zentralstelle und Doktorvater meiner Mutter, MR. Dr. med. Volker Schliack, im o.g. beschriebenen Turnus weiterbehandelt. In der Folge erfolgte dort die Behandlung auch bei Frau Dr. med. Anneliese Mohnike, später dann durch die Insulinpumpen-Spezialistin, Frau Dr. med. Irmtraud Hüttl. Ich befand mich ergo seit Beginn meiner Laufbahn als Diabetiker ohne mein eigenes Dazutun umfassend in den besten Händen.
Ungeachtet dieser positiven betreuungsseitigen Voraussetzungen durchlief ich aber trotzdem die „normalen“ Phasen eines jugendlichen Diabetikers. Insbesondere in meiner Abitur- und anfänglichen Studienzeit lebte ich so, als ob es keinen Diabetes gab. Eingedenk der Tatsache, dass meine Mutter bezüglich der Überlebensstatistik für einen Diabetiker von nur 30 Jahren ausging (und ich irgendwann in der Pubertät davon erfuhr), sagte ich mir, dass ich in jedem Belang des Lebens doppelt intensiv sein muss, um so rein rechnerisch ein erlebnisbezogen höheres Alter zu erreichen. Daher durchlebte ich einige Jahre eine sehr exzessive Zeit. Das blieb erwartungsgemäß nicht ohne negative Folgen bezüglich der Diagnosen Retinopathie, Nephropathie sowie diabetischen Polyneuropathie.
Obwohl oder gerade wegen der Summe meiner eigenen Erfahrungen engagierte ich mich sehr frühzeitig (seit 1974) für die Gestaltung von erlebnisreichen Ferienfreizeiten für Kinder und Jugendliche mit Diabetes. Angefangen habe ich als technischer Helfer (unter Gerhard Mögling) im Sommerferienlager in Puttbus, war mit dabei in Sommerswalde als Gruppenhelfer, in Kloster Chorin als Gruppenhelfer, in Grünheide im Auftrag der damaligen Gesundheitsministerin, Regine Hildebrandt als Lagerleiter unter Dr. Claus Marquardt sowie unter Dr. med. Karsten Milek als Gruppenleiter in Kolberg bei Berlin. In den 80/90er Jahren setzte ich mich im Landesvorstand des DDB-Land Brandenburg mit Klaus Lantsch und Siegried Ringleb auch anderweitig für die Belange der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes mellitus ein. Höhepunkt dieser Tätigkeit war die Initiierung und Mitorganisation des 1. Bundesweiten Kinder- und Jugend-Diabetikertages im FEZ in Berlin.
Im Jahre 1980 erhielt ich von meinem Onkel aus England eine Insulinpumpe von der Firma Mill Hill. Diese und ich als erster Pumpen-Patient wurden in der “Diabetiker Hochburg“ in Karlsburg bei Greifswald unter der Leitung von Frau Dr. Hüttl auf Herz und Nieren geprüft. Natürlich bestand die gemeinsame Zielstellung auch darin, diese verbesserte Form der Insulinversorgung allen insulinpflichtigen Diabetikern zugänglich zu machen. Kurz vor der Wende gab es meines Wissens den ersten Prototyp einer in der DDR entwickelten Insulinpumpe!
Die Anwendung der Insulinpumpen-Therapie über nunmehr 44 Jahre hat bei mir neben einer eindeutig verbesserten Stoffwechselführung zu einer nachweislichen Verzögerung bis hin zum Stopp der bei mir vorliegenden erwähnten Folgeerkrankungen geführt. Sehr glücklich bin ich insbesondere aber darüber, dass es gelungen ist, aus dem Open-Loop-System eine erste Form des Closed-Loop-System anwendungsreif zu entwickeln!
Aus eigener Erfahrung erlaube ich mir abschließend auf eine nicht zu unterschätzende gesundheitliche Gefahr, insbesondere bei Diabetikern, hinzuweisen. Es geht um das leidige Thema Alkohol. In der ersten Hälfte meines Lebens habe ich in der exzessiven Phase so viel Alkohol getrunken, dass es für die zweite Hälfte reicht. Kurz und gut: Seit November 1996 habe ich wissentlich keinen Alkohol mehr getrunken! Im Ergebnis dessen sowie in Kombination mit der Anwendung der Insulinpumpen-Therapie hat sich mein gesundheitlicher Zustand weitgehend auf dem Stand Ende der 80er Jahre stabilisiert!
Zusammenfassung
Obwohl ich schon auf 65 Jahre Leben mit der Begleiterscheinung Diabetes mellitus zurückblicken kann, bin ich absolut nicht der Meinung, dass ich meine eigene Diabetesbehandlung gut im Griff hatte und habe. Vielmehr verweise ich auf die gute komplexe fachärztliche und menschliche Beratung und Betreuung, die mir im Laufe der Zeit bis zum heutigen Tag zuteilgeworden ist. Natürlich bedarf es einer gewissen Bereitschaft, die Beratungshinweise ernst zu nehmen und entsprechend umzusetzen. Diese lag offensichtlich bei mir vor und wurde durch die Pumpentherapie noch beflügelt. Aber, ohne meine mich betreuenden Ärztinnen und Ärzte hätte ich mit meiner Begleiterscheinung nicht so lange ausgehalten.
Dr. agr. Kurt Thomas Kann-Klara