Wolfgang Schult

(65 Jahre Diabetes)
Wolfgang_Schult

Zu meiner Person:

Mein Name ist Wolfgang Schult, ich bin gebürtiger Harzer – ein „Ossi“ – und lebe in Greifswald. Ich bin 80 Jahre alt und habe seit 65 Jahren Typ-1-Diabetes. Meine Diagnose habe ich 1958 in der ehemaligen DDR erhalten – da war ich also 15 Jahre alt. In den 65 Jahren mit Diabetes habe ich schon viele Höhen, Tiefen und neue Erkenntnisse erlebt. Leider hat auch die lange Zeit der Diabetesdauer viele, tiefe Kratzer in meinem Lack hinterlassen. Aber wie heißt es so schön? „Hurra, wir leben noch!“ Mit anderen Worten: Meine Lebensfreude habe ich nie verloren, denn die hat mich erst so weit gebracht. Ich kann gar nicht anders: Ich war und bin Optimist.

Die Diagnose:
1958 bin ich mit diabetischem Koma ins Krankenhaus eingeliefert worden. Ein sehr fähiger Internist hat mich damals geschult, eingestellt und schließlich ins Diabetikerheim in Karlsburg bei Greifswald geschickt – das Zentralinstitut für viele sozialistische Länder, das auch international anerkannt war. Dort war ich die ersten Jahre jeden Sommer für vier bis sechs Wochen zur Kontrolle und Neueinstellung. Weil ich das DDR-Insulin wegen allergischer Reaktionen nicht vertragen habe und ein wirtschaftliches Embargo gegen die DDR galt, haben die Ärzte mich in Karlsburg auf „modernes und reines“ Hoechst-Insulin eingestellt, das dort für Forschungszwecke eingeführt werden durfte; damit fuhr ich sehr gut. So saß ich an der Quelle von Wissen, Technik und Insulin!
In den ersten 30 Jahren, bis zur Wende 1989, habe ich mir das Insulin noch mit Rekord-Glasspritzen und „dicken“ Stahlkanülen injiziert, die man zwecks Sterilität auskochen musste. Einweg-Materialien gab es erst nach 1989. Die Stahlkanülen habe ich häufiger verwendet als vorgeschrieben, denn Material war knapp und konnte damals nicht so leicht besorgt werden. Oftmals hatten die Kanülen kleine Widerhaken. Ich habe heute noch Spritznarben auf meinen Oberschenkeln. Auch die Blutzuckerkontrolle gab es nur in stationären Einrichtungen. Wir konnten mit einem „Glykorator“ den ausgeschiedenen Urinzucker bestimmen: Dafür musste man 24 Stunden lang seinen Urin sammeln, über einer Glasflamme im Reagenzglas kochen und mit Glykorator-Lösung die Farbveränderung bestimmen. Es war eine sehr unsichere Methode. Erst nach der Wende haben auch wir „diabetischen Ossis“ voll von den neuen Erkenntnissen des medizinischen Fortschrittes, wie neue Insuline und Therapiemethoden, Blutzucker-Selbstbestimmung, Pumpen-Therapie etc. profitieren können.

Mein beruflicher Weg:

Ich habe nach der Schule Krankenpfleger gelernt – als einziger Junge zwischen damals 35 Mädchen, danach habe ich an einem Krankenhaus in Magdeburg und dann in Karlsburg gearbeitet. Ich habe berufsbegleitend an der Fachschule für Gesundheitswesen in Potsdam Betriebswirtschaft im Gesundheitswesen studiert und habe dann im Gesundheitsamt von Greifswald als Verwaltungsleiter für nachgeordnete Einrichtungen angefangen. Später habe ich noch Staats- und Rechtswissenschaften studiert, mit einem Diplom abgeschlossen und war zum Schluss kaufmännischer Direktor eines großen Gesundheitszentrums.

Meine aktuelle Situation:

Heute liegt mein HbA1c konstant zwischen 6,6 und 6,9 mmol/L – seit vielen Jahren. In den ersten 10 Jahren der Diabetesdauer hielt ich mich an meinen vorgegebenen Diät- und Spritzplan, dann übernahm ich für 48 Jahre die intensivierte Insulintherapie. Seit 7 Jahren nutze ich eine Insulin-Pumpe (5 Jahre Accu Check Insight, 2 Jahre T-Slim X2) und den Dexcom G6. Ich bin begeistert. Meine Werte haben sich verbessert, die vielen Spitzen im täglichen Stoffwechselverlauf konnten beseitigt oder kupiert werden. Dies hat sicherlich mein Leben mit Diabetes positiv beeinflusst. Ich hätte mit der Pumpentherapie schon eher beginnen sollen, aber manche Einsicht kommt spät, aber nicht zu spät. Ich hatte in den 65 Jahren zwei schwere „Hypos“ mit Bewusstlosigkeit. Zum Glück passt meine Frau auf mich auf. Sie war in Karlsburg Krankenschwester – und meine „Chefin“, als ich dort anfing zu arbeiten. Heute sind wir seit 59 Jahren verheiratet und da sie Krankenschwester war, besprechen wir auch so manches bezüglich des Diabetes. Folgeschäden blieben trotzdem nicht aus, allein die Dialyse blieb mir bislang erspart. Mit 20 Jahren Diabetesdauer fing es an: Seit 1980 habe ich eine Retinopathie. Meine Augen wurden oft gelasert; ich kann zwar noch auf dem rechten Auge zu 60% sehen, aber der Muskel der Augenlider ist erschlafft, deswegen fallen sie mir oft herunter und das Autofahren ist leider endgültig vorbei. 1984 hatte ich meinen ersten Schlaganfall mit bleibenden Funktionseinschränkungen im linken Arm, 1996 begannen Herzprobleme und 1999 hatte ich eine Bypass-Operation mit Nahtoderlebnis. Ab 2004 kam eine starke Polyneuropathie dazu, die mich oft in den Rollstuhl zwingt: Ich laufe zwar zuhause und ein bisschen mit dem Rollator, aber ich schaffe es nicht mehr, 50 Meter zu gehen. Vor Kurzem hatte ich einen zweiten Schlaganfall mit einer totalen Sprachlähmung– aber inzwischen bin ich durch die Kunst der Ärzte wieder fast der „alte Alte“. Früher habe ich mir immer 5-Jahres Ziele gesetzt, die ich unbedingt erreichen wollte. Ich habe sie auch erreicht. Jetzt mit 80 Lebensjahren sind diese Ziele bescheidener geworden, sie umfassen nur noch 2 Jahre im Voraus. Das nächste Ziel ist meine Diamantene Hochzeit im Dezember 2024. Die erreiche ich garantiert. Mein aktuelles optimistisches Motto lautet: Wer an sich glaubt kann alles schaffen.

Veröffentlicht: 2023

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